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UFO-Forschung - UFO-Anhörung des House Oversight Committee - Versuch einer kritischen Einordnung

10.08.2023

Whistleblower David Grusch und die Ufo-Debatte

Die Behauptungen des Ufo-Whistleblowers David Grusch vor dem US-Kongress sorgen weltweit für Schlagzeilen. Sind die USA tatsächlich im Besitz nichtmenschlicher Technologie? Versuch einer kritischen Einordnung.

VON ANDREAS ANTON am 10. August 2023

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Wer sich ein wenig mit dem Ufo-Thema auskennt, wird wissen, dass dieses wellenförmigen Konjunkturen unterliegt. Auf Phasen großen öffentlichen Interesses folgen mit einer gewissen Regelmäßigkeit solche, in denen das Thema lediglich in Nischen weiterexistiert und kaum ernstgenommen wird. Aktuell erfahren Ufos – oder wie man heute sagt: UAPs (Unidentified Aerial Phenomena) – eine durchaus ungeahnte Hochkonjunktur. 

Ausgelöst wurde dies durch einen inzwischen als legendär zu bezeichnenden Artikel der Journalisten Helene Cooper, Ralph Blumenthal und Leslie Kean in der New York Times vom 16. Dezember 2017. Hier war zu lesen, dass das Pentagon zwischen 2007 und 2012 ein Programm mit 22 Millionen Dollar Budget zur Untersuchung von Ufos mit der Bezeichnung „Advanced Aerospace Threat Identification Program“ (AATIP) unterhielt.

Was seither passierte, könnte aus den Drehbüchern der TV-Serie „Akte X“ stammen: Es wurden Videos veröffentlicht, die von Navy-Kampfjet-Piloten aufgezeichnete unidentifizierte Flugobjekte zeigen sollen. Die US Navy bestätigte später die Echtheit der Videos. Mehrere Piloten meldeten sich zu Wort, die über Begegnungen mit anomalen Flugobjekten berichteten, die nicht von dieser Welt zu stammen schienen. Im Mai 2021 bestätigte Ex-Präsident Barack Obama in einer Late-Night-Show, dass es Aufnahmen von Objekten am Himmel gebe, „von denen wir nicht wissen, was sie sind“. Man könne nicht erklären, wie diese Objekte sich bewegen. 

Kurze Zeit später erschien der Bericht der sogenannten UAP Taskforce. Die Task Force wurde noch unter der Regierung Trump mit dem Ziel gegründet, systematisch Informationen zu sammeln und auszuwerten, die das Militär und das Verteidigungsministerium zum Ufo-Phänomen haben und die entsprechenden Analysen öffentlich zu machen. Für den Bericht wurden 144 Militärberichte über Sichtungen unidentifizierter Himmelserscheinungen zwischen 2004 und 2021 ausgewertet. In 80 Fällen wurden Flugobjekte mit verschiedenen Sensoren gleichzeitig erfasst, bei 18 Fällen wurden ungewöhnliche Bewegungsmuster oder Flugeigenschaften gemeldet und in elf Fällen berichteten Piloten gar über Beinahezusammenstöße mit Ufos.

Einrichtung einer UFO-Untersuchungsbehörde 

Ende 2021 unterzeichnete Präsident Joe Biden den National Defense Authorization Act (NDAA), der die Gesetzesgrundlage für den US-Verteidigungshaushalt im Jahr 2022 war. Das Gesetz beinhaltete auch die Einrichtung einer Ufo-Untersuchungsbehörde (Airborne Object Identification and Management Synchronization Group – AOIMSG) als Nachfolgeinstitution für die UAP Task Force. Die Behörde, die heute All-domain Anomaly Resolution Office (AARO) heißt, soll Berichte über Ufo- bzw. UAP-Sichtungen sammeln, wissenschaftlich auswerten und in regelmäßigen Abständen Politik und Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Untersuchungen unterrichten. 

Am 17. Mai 2022 fand eine Anhörung vor dem US-Kongress statt, in der es um UAPs und deren potenzielles Bedrohungspotenzial für die nationale Sicherheit der USA ging. Den Fragen der Abgeordneten stellten sich Ronald S. Moultrie, US-Staatssekretär für Verteidigung, Aufklärung und Sicherheit, und Scott W. Bray, stellvertretender Direktor des US-Geheimdienstes der Navy. Moultine und Bray berichteten, dass seit der Veröffentlichung des Berichtes der UAP Taskforce im Sommer 2021 weitere Fälle hinzugekommen seien, sodass nun rund 400 UAP-Fälle vorlägen. Bei der Mehrheit der beobachteten Phänomene hätte es sich um „physikalische Objekte“ gehandelt. Bei manchen Fällen hätten die Flugobjekte ein unerklärliches Flugverhalten an den Tag gelegt. Man habe zwar keine konkreten Belege für eine außerirdische Herkunft der Objekte, doch man sei „offen für alle Hypothesen“. 

Ende 2022 trat der Verteidigungshaushaltplan für das Jahr 2023 in Kraft. Dieser enthält eine weitreichende UAP-Gesetzgebung und fordert u.a. einen geordneten Meldeweg für Informationen „im Zusammenhang mit nicht identifizierten anomalen Phänomenen, einschließlich in Bezug auf Materialbeschaffung, Materialanalyse, Reverse Engineering, Forschung“. Darüber hinaus enthält das Gesetz Bestimmungen zum Schutz von Whistleblowern. Diese sollen keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben, wenn sie Informationen zu UAPs an die entsprechenden Stellen weiterreichen. 

All dies wurde von Anfang an von einer Welle der Berichterstattung begleitet, die nach und nach von den USA auch nach Deutschland schwappte. Während das Ufo-Thema von etablierten Leitmedien vor 2017 in der Regel marginalisiert oder gar ins Lächerliche gezogen wurde, durchlief es im Zuge der dargelegten Entwicklungen im öffentlichen Diskurs eine Art Statuswandel. Es erschienen unzählige Beiträge in renommierten Medien, die alle einen ähnlichen Grundtenor hatten: Das Ufo-Phänomen sollte ernst genommen werden.

Paradigmatisch für diese Entwicklung kann ein Artikel aus der Washington Post aus dem Mai 2019 mit dem Titel „UFOs exist and everyone needs to adjust to that fact“ gelten. Ufos galten plötzlich nicht mehr als etwas, mit dem sich nur Spinner und Verschwörungstheoretiker beschäftigen, sondern wurden öffentlich ernsthaft diskutiert. Zur Etablierung des Themas trug schließlich auch die Tatsache bei, dass die NASA Mitte letzten Jahres verkündete, eine eigene UAP-Studie durchzuführen. 

David Grusch betritt die Bühne

Man muss sich diese Entwicklung einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein halbes Jahrhundert, nachdem die USA ihr letztes offizielles Programm zur Untersuchung von Ufos („Project Blue Book“) eingestellt haben und nachdem verschiedene US-Regierungen über Jahrzehnte immer wieder betonten, dass es kein staatliches Interesse mehr an dem Thema gibt, wird öffentlich, dass es im Geheimen doch Ufo-Untersuchungen gab. In offiziellen Berichten wird festgehalten, dass im US-amerikanischen Luftraum immer wieder Flugobjekte beobachtet werden, für die es bislang keine Erklärung gibt. Ufos werden als potenzielle Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet, sollen entstigmatisiert und gründlich untersucht werden. Dazu gibt es in den USA nun wieder offizielle staatliche Ufo-Forschung. 

Als wäre dies alles nicht bereits spektakulär genug, tritt Anfang Juni der ehemalige Luftwaffen-Offizier und Geheimdienstmitarbeiter David Charles Grusch an die Öffentlichkeit und behauptet, die US-Regierung unterhalte seit Jahrzehnten ein streng geheimes Ufo-Forschungsprogramm und sei im Besitz von außerirdischen bzw. „nichtmenschlichen“ Artefakten. Es ist gar von Leichnamen („dead pilots“) die Rede, die geborgen worden sein sollen. 

Grundsätzlich sind derartige Behauptungen nicht neu. In der Vergangenheit tauchten immer wieder (vermeintliche) Whistleblower auf, die von abgestürzten Ufos, geheimen Crash-Retrieval- und Reverse-Engineering-Programmen und gigantischen Verschwörungen zur Bewahrung der Ufo-Geheimnisse berichteten. Der bekannteste unter ihnen ist Robert „Bob“ Lazar, ein US-amerikanischer Unternehmer, der ab Ende der 1980er Jahre in mehreren Interviews behauptete, in der berühmt-berüchtigten Area 51 außerirdische Raumschiffe untersucht zu haben. Einen handfesten Beweis dafür konnte Lazar (sowie die anderen Ufo-Whistleblower) nie vorlegen. Es spricht vielmehr alles dafür, dass er die Geschichte frei erfunden hat.

Man machte es sich allerdings zu leicht, würde man Grusch in eine direkte Linie mit diversen früheren Ufo-Whistleblowern stellen. Grusch hat eine beeindruckende Vita vorzuweisen. Er diente als Luftwaffen-Offizier in Afghanistan, arbeitete für verschiedene Einheiten der Nachrichtendienste, war bis Mitte 2022 bei der National Geospatial-Intelligence Agency für die Analyse von UAP-Vorfällen zuständig und verfügte über hohe Sicherheitsfreigaben. Und Grusch ist erkennbar bemüht, seine „Offenlegungen“ in legalen, gesetzlich abgesicherten Bahnen verlaufen zu lassen.

So ließ er seine öffentlichen Aussagen zuvor von einer Prüfbehörde des Pentagons, dem Defense Office of Prepublication and Security Review (DOPSR), absegnen (was allerdings nichts über deren Wahrheitsgehalt aussagt) und legte dem zuständigen Inspector Generaleine Beschwerde vor, die als „glaubwürdig und dringend“ bewertet wurde. Hierzu muss angemerkt werden, dass sich die Prüfung des Inspector Generals nur darauf bezieht, ob Grusch Repressalien ausgesetzt war und nicht darauf, ob seine Informationen ein geheimes Ufo-Bergungsprogramm belegen. 

Grusch verweist immer wieder darauf, dass er auf bestimmte Details nicht näher eingehen kann, da er damit Geheimhaltungsbestimmungen verletzen würde, an die er sich noch immer gebunden fühlt (oder faktisch gebunden ist). Zuletzt hat er einen Teil seiner zuvor öffentlich geäußerten Behauptungen unter Eid bei einem Hearing im Kongress wiederholt, was bemerkenswert ist, da Falschaussagen unter Eid erhebliche Konsequenzen für ihn nach sich ziehen würden. Auf diese Weise hat Grusch erreicht, dass seine Aussagen institutionell verarbeitet werden.

Derzeit wird die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses diskutiert. Damit bewegt sich Grusch in einer völlig anderen Liga als vorherige Ufo-Whistleblower. Doch macht ihn dies auch glaubwürdiger? Fest steht: Wenn sich auch nur ein kleiner Teil seiner Behauptungen als wahr herausstellen würden, hätten wir es mit einer der größten Sensationen aller Zeiten zu tun, die weitreichende Folgen hätte, wie ich es kürzlich in einem Gastbeitrag für Focus Online dargelegt habe. Eine offizielle Bestätigung dafür, dass die Erde von nichtmenschlichen Intelligenzen besucht wird, würde vermutlich eine Art kollektiven ontologischen Schock auslösen. 

Eine mysteriöse Ranch und ein Netzwerk aus UFO-Enthusiasten 

Der Hauptkritikpunkt an Grusch besteht darin, dass er bislang keinerlei überzeugenden Belege für seine Behauptungen vorlegen konnte. Darüber hinaus basieren all seine Aussagen auf Hörensagen, auf Berichten von Informanten, mit denen er gesprochen haben will. Diese Informanten scheint es in der Tat zu geben, glaubt man etwa dem Journalisten Michael Shellenberger. Auch Marco Rubio, republikanischer Senator von Florida und Vize-Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im US-Senat (Senate Select Committee on Intelligence, SSCI) gibt an, mit Zeugen gesprochen zu haben, die ähnliche Aussagen gemacht haben sollen wie Grusch. Die Frage ist also: Wer sind diese Informanten, was genau behaupten sie und haben sie konkrete Beweise? 

Der Journalist Marik von Rennenkampff führt in einem Kommentar für The Hill zwei mögliche Erklärungen für die aktuelle Sachlage an: „Die jahrzehntelange Geschichte der unidentifizierten Flugobjekte (Ufos) steuert auf eine von zwei verblüffenden Schlussfolgerungen zu. Entweder hat die US-Regierung eine außergewöhnliche, jahrzehntelange Vertuschung von Ufo-Such- und Reverse-Engineering-Aktivitäten betrieben, oder Teile des Verteidigungs- und Geheimdienst-Establishments führen eine erstaunlich dreiste psychologische Desinformationskampagne durch.“ Es gibt jedoch noch eine weitere mögliche Erklärung. Um diese zu entwickeln, muss man die Ereignisse seit 2017 noch einmal rekapitulieren, das Augenmerk dabei aber auf bestimmte Details legen. 

Leslie Kean, Mitautorin des Artikels in der New York Times, der den Stein ins Rollen brachte, war bereits vor 2017 dafür bekannt, großes Interesse am Ufo-Thema zu haben. Sie schrieb mehrere Artikel über Ufos und veröffentlichte im Jahr 2010 ein vielbeachtetes Buch mit dem Titel „UFOs: Generals, Pilots and Government Officials Go on the Record“. Das alles spricht natürlich weder für noch gegen sie. Allerdings: Nach und nach kamen gewisse Zweifel an dem New-York-Times-Artikel auf. Es heißt darin, dass der frühere Geheimdienstmitarbeiter Luis Elizondo das Ufo-Programm AATIP geleitet hätte, was das Pentagon in einem offiziellen Statement jedoch bestritt. Natürlich konnte man dieses Statement in Frage stellen. Warum sollte man dem Pentagon glauben, das zuvor die Existenz des Ufo-Programms verheimlichte? 

Die Ereignisse überschlugen sich

Dann jedoch überschlugen sich die Ereignisse. 2021 erschien das Buch „Skinwalkers at the Pentagon. An Insiders‘ Account oft he Secret Government UFO Program“ von James Lacatski, Colm Kelleher und George Knapp (diese Namen werden uns später noch begegnen). Hier wird eine etwas andere Geschichte über das geheime Ufo-Programm des Pentagons erzählt. Harry Reid (1939 bis 2021), früherer Senator von Nevada und Fraktionsvorsitzender der Demokraten, schrieb ein Vorwort zu dem Buch, in dem zu lesen ist: „Die Geschichte vom Dezember 2017 hat enorm viel Gutes bewirkt […], aber leider auch das Wasser getrübt. In dem Artikel wurde richtigerweise festgestellt, dass die 22 Millionen Dollar, die die Senatoren Stevens, Inouye und ich gesichert hatten, an Bigelow Aerospace Advance Space Studies (BAASS) gingen, das AAWSAP-Programm der Regierung wurde jedoch völlig außer Acht gelassen.“ 

Was ist das AAWSAP-Programm? Und was ist Bigelow Aerospace Advance Space Studies? AAWSAP steht für „Advanced Aerospace Weapon Systems Applications Program“ und wurde von Harry Reid, der damals Mehrheitsführer im Senat war, initiiert. Wichtiger Ideengeber war dabei der Milliardär Robert Bigelow, ein Freund und finanzieller Unterstützer Reids, Eigentümer einer Hotelkette und Gründer der Firma Bigelow Aerospace, die unter anderem an aufblasbaren Weltraummodulen arbeitete.

Bigelow ist bekannt dafür, ein großes Interesse an Ufos und paranormalen Themen im Allgemeinen zu haben. 1995 gründete Bigelow die private Forschungsorganisation National Institute of Discovery Science (NIDS) und engagierte mehrere Wissenschaftler, um Untersuchungen auf dem Gebiet des Paranormalen durchzuführen, darunter den Virenforscher Colm Kelleher, den Astrophysiker Eric Davis und den Ingenieur und Parapsychologen Harold Puthoff

Puthoff war in den 1970er und 80er Jahren an dem berühmten „Stargate“-Projekt beteiligt, in dem die CIA und das US-Militär parapsychologische Phänomene untersuchten. 1996 kaufte Bob Bigelow ein Ranch-Gelände in Utah, bekannt unter dem Namen Skinwalker Ranch. Die Ranch soll Gerüchten zufolge ein Hotspot paranormaler Erscheinungen wie Ufo-Sichtungen, Viehverstümmlungen, Poltergeist-Phänomenen etc. sein.

Die NIDS-Wissenschaftler untersuchten im Auftrag Bigelows die vermeintlichen Phänomene auf der Ranch. 2004 wurde NIDS aufgelöst, doch die Untersuchungen gingen weiter – und zwar im Rahmen des staatlich finanzierten Programms AAWSAP. Dessen Leiter war nicht Luis Elizondo, sondern James Lacatski, der in „Skinwalkers at the Pentagon“ beschreibt, dass die Aufgabe von AAWSAP nicht nur die Untersuchung von Ufos war, sondern die Wissenschaftler sollten alle möglichen paranormalen Erscheinungen erforschen, unter denen einige höchst bizarre Vorkommnisse waren. 

Kurzum: Es gelang Bigelow, über seinen Freund Harry Reid ein staatliches Programm initiieren zu lassen, das seine privaten Untersuchungen des Paranormalen mit öffentlichen Mitteln fortsetzte. Vertragspartner von AAWSAP war Bigelow Aerospace Advance Space Studies, eine Tochtergesellschaft von Bigelow Aerospace. Das heißt, Bigelows Firma verdiente sogar noch Geld an den nun staatlich finanzierten Forschungen zu seinen speziellen Interessensgebieten. Man ließ das Pentagon bei der Gründung von AAWSAP im Unklaren darüber, was die eigentlichen Ziele sind und beschrieb u.a. die Erforschung zukünftiger Luftwaffensysteme als Aufgabe des Programms. Von Ufos, paranormalen Erscheinungen etc. steht in den entsprechenden Dokumenten zu AAWSAPnichts. Mit anderen Worten: Das Pentagon wurde an der Nase herumgeführt. Allerdings kam man dort offenbar recht schnell zu dem Ergebnis, dass das Programm keine verwertbaren Ergebnisse erzeugte und stellte die Finanzierung von AAWSAP ein.  

Pentagon finanzierte auch die Untersuchung von Poltergeistern

Von all dem liest man in dem New-York-Times Artikel von Leslie Kean und Co. aus dem Jahr 2017 nichts. Wenn von Anfang an klar gewesen wäre, dass das Pentagon im Geheimen nicht nur Ufos untersucht, sondern auch und vor allem (unwissentlich) die Erforschung von Poltergeistern, Werwölfen, Dimensionsportalen und Schattenwesen auf der Skinwalker Ranch finanziert hat, hätte die gesamte Geschichte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere Wendung genommen. Robert Bigelow scheint übrigens am Ende selbst nicht ganz überzeugt von den paranormalen Erscheinungen auf der Skinwalker Ranch gewesen zu sein. 2016 verkaufte er das Gelände an den Investor Brandon Fugal, der dort für den History Channel eine reißerische Dokuserie mit dem Titel The Secret of Skinwalker Ranch drehen lässt, in der einmal mehr über die vermeintlichen paranormalen Phänomene auf der Ranch berichtet wird. Übrigens: Eine der Hauptfiguren der Serie ist der Wissenschaftler und Science-Fiction-Autor Travis Taylor, der wiederum Chefwissenschaftler bei der UAP Task Force und hier offenbar mitverantwortlich für den offiziellen Ufo-Bericht im Jahr 2021 war. Die Kreise schließen sich, könnte man sagen. 

AATIP war offenbar eine Art Ausläufer des eigentlichen Pentagon-Programms AASWAP. Es spricht vieles dafür, dass AATIP sogar lediglich eine Art Ein-Mann-Aktivität von Luis Elizondo war, ggf. sogar ohne Finanzierung und nur in seiner Freizeit. In einer Leistungsbewertung des Pentagons von Elizondos Arbeit ist jedenfalls von AATIP oder Ufos nichts zu lesen. Das alles will nicht so recht zu der Geschichte passen, die Elizondo und andere ab 2017 erzählten. Bei dem Narrativ, das ab 2017 über das geheime Programm des Pentagons etabliert wurde, spielte die von dem durch seine Band Blink 182 weltbekannten Rockstar Tom DeLonge mitgegründete Organisation To The Stars Academy (TTSA) eine entscheidende Rolle, bei der neben Elizondo auch Harold Puthoff sowie der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Christopher Mellon Mitglieder waren, der vielen ebenfalls als Ufo-Enthusiast gilt. 

Es war letztlich die To The Stars Academy, die die Videos der Navy-Piloten veröffentlichte, die dann um die ganze Welt gingen. Durch die Aktivitäten von DeLonge fanden sich in der To The Stars Academy Personen zusammen, die nicht nur ein großes Interesse an dem Ufo-Thema hatten, sondern darüber hinaus auch Zugang zu Informationen aus dem Sicherheitsapparat und hervorragende Kontakte zu Politik und Medien. Hier verbanden sich Personen aus dem Umfeld von Bigelow und von AAWSAP mit weiteren Ufo-Enthusiasten zu einem schlagkräftigen Netzwerk, das ab 2017 über eine gezielte mediale Kampagne die Art und Weise zu verändern begann, wie öffentlich über das Thema Ufos kommuniziert wird. 

Die UFO-Lobby 

Was hat dies alles nun mit David Grusch zu tun? Grusch bewegt sich im direkten Umfeld oder ist sogar Teil des skizzierten Netzwerkes. Seine Geschichte wurde zunächst in der Online-Zeitschrift The Debrief veröffentlicht – und zwar von Leslie Kean und Ralph Blumenthal. Bei dem Hearing im Kongress saßen George Knapp und der Filmemacher Jeremy Corbell in der ersten Reihe. Die drei kennen sich offenbar schon länger. George Knapp ist eine Art Schlüsselfigur für die ganze Entwicklung und ist seit über 30 Jahren aufs Engste mit dem Ufo-Thema verbunden. Er war es, der 1989 Bob Lazar und seine Geschichte über Ufos in der Area 51 an die Öffentlichkeit brachte und er führte nach eigenen Angaben Harry Reid und Bob Bigelow zusammen, die später gemeinsam AAWSAP ins Leben riefen.

Jeremy Corbell wird von vielen als eine Art „Nachfolger“ von Knapp betrachtet. Er produzierte im Jahr 2019 eine Dokumentation über Bob Lazar, in der seine Geschichte sehr unkritisch aufgegriffen oder gar als glaubwürdig präsentiert wird. David Grusch und Luis Elizondo kennen sich persönlich. Elizondo unterstützte Grusch nach dessen öffentlichen Behauptungen zu einem geheimen Ufo-Bergungsprogramm auf Twitter mit den Worten: „Chris, du hast 100 Prozent recht. Ich kenne Grusch persönlich und er ist ein amerikanischer Schatz. Ich erwarte voll und ganz, dass das System auf ihn genauso reagiert wie auf mich. Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Er ist genau der, für den er sich ausgibt. Die Amerikaner und die Welt haben ein Recht darauf, es zu erfahren!“ 

In ähnlicher Weise erhielt Grusch Unterstützung von Christopher Mellon, einem weiteren früheren Mitglied der To The Stars Academy. Mellon schrieb auf Twitter: „Ich kenne Dave Grusch seit Jahren und kann ohne zu zögern sagen, dass er aufrichtig und authentisch ist und jemand, der ganz sicher eine faire Anhörung verdient. Die Hinweise, die er und andere geben, sollten einen interessierten Kongress in die Lage versetzen, die Wahrheit über die seit Langem bestehenden Behauptungen über wiedergefundene Alien-Technologie herauszufinden. Ich freue mich auf die Anhörung und hoffe, dass die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter angesichts dieser einmaligen Gelegenheit durchdachte Fragen vorbereiten.“ 

An dieser Stelle sollte vielleicht erwähnt werden, dass Grusch seit Mai 2023 als Chief Operating Officer bei einer Stiftung namens The Sol Foundation arbeitet, die sich offenbar dem Ufo-Thema widmen will. Christopher Mellon ist als einer der Direktoren der Stiftung aufgeführt, gegründet wurde sie von dem Stanford-Professor und Unternehmer Gary Nolan, der kürzlich öffentlich bekannte, sich zu „100 Prozent“ sicher zu sein, dass Außerirdische bereits die Erde besucht haben und behauptet, u.a. im Auftrag der CIA Menschen medizinisch untersucht zu haben, die in die Nähe von Ufos kamen und dadurch gesundheitliche Schäden davontrugen. 

Eine weitere unter vielen UFO-Geschichten

Kommen wir auf die Schlussfolgerung von Marik von Rennenkampff in The Hill zurück, dass Gruschs Geschichte entweder wahr ist oder wir es mit einer groß angelegten Desinformationskampagne zu tun haben. Die Hintergründe der Geschehnisse seit 2017 deuten meines Erachtens in eine andere Richtung: Es besteht ein letztlich relativ kleines Netzwerk aus vielleicht 30 oder 40 Personen, die die entsprechenden Entwicklungen maßgeblich geprägt haben. Was diese Personen vereint, ist eine Begeisterung für das Ufo-Thema und der Wille, dem Thema zu mehr öffentlicher Anerkennung zu verhelfen. Man könnte sie daher auch als Ufo-Aktivisten oder als ‚Ufo-Lobby‘ bezeichnen, als Interessensgruppe, die versucht, den politischen und medialen Diskurs in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Das scheint ihnen bisher gut gelungen zu sein. Grusch hat an der UAP-Gesetzgebung im Rahmen des letzten Verteidigungshaushaltes offenbar selbst mitgearbeitet. Zugespitzt könnte man sagen: Er hat sich sein eigenes Gesetz geschrieben. Der Vergleich mit Lobbyarbeit drängt sich also geradezu auf. 

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich will damit nicht sagen, dass alles falsch ist, was Grusch behauptet. Auch nicht, dass er lügt. Im Gegenteil: In meiner Vorstellung bewegt Grusch sich in einem Kontext, der ihn davon überzeugt hat, dass es die große Ufo-Verschwörung gibt, die er nun aufdecken will. Zu diesem Kontext gehören mit großer Wahrscheinlichkeit viele Personen aus sehr unterschiedlichen Bereichen, missinterpretierte Informationen, Falschinformationen, Lügen, bewusst in die Welt gesetzte Desinformation, Wichtigtuerei, Naivität, monetäre Interessen und ja, vielleicht auch das berühmte Körnchen Wahrheit. 

Vor dem Hintergrund dieses Szenarios ließe sich auch der Konflikt zwischen David Grusch und Sean Kirkpatrick, dem Leiter der Ufo-Behörde AARO, erklären. In Bezug auf die Behauptungen von Grusch hatte Kirkpatrick öffentlich erklärt, dass AARO keine Beweise für geheime Ufo-Bergungsprogramme vorlägen. Grusch kritisierte diese Aussagen in dem Hearing vor dem Kongress, woraufhin Kirkpatrick in einem persönlichen Statement betonte, dass er das Hearing als „beleidigend“ und „enttäuschend“ empfand. 

Das Verhältnis zwischen Grusch und Krikpatrick scheint eine Art Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Situation zu sein. Es ist davon auszugehen, dass beiden ähnliche Informationen vorliegen. So berichtete Kirkpatrick, dass AARO bereits rund 30 Zeugen interviewt habe, von denen einige glauben, „dass sie etwas gesehen haben“. Man müsse diese Behauptungen aber erst untersuchen. Es scheint also so zu sein, dass Grusch und Kirkpatrick angesichts einer komplexen Informationslage zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.

Mehr darüber zu erfahren, könnte ein wenig Klarheit in die Situation bringen. Nach allem, was wir heute wissen, ist zumindest nicht vollständig auszuschließen, dass David Grusch als derjenige in die Geschichte eingehen wird, der die Aufdeckung des großen Ufo-Geheimnisses eingeläutet hat. Wesentlich wahrscheinlicher ist es jedoch, dass seine Geschichte am Ende lediglich eine weitere unter vielen Ufo-Geschichten bleiben wird. 

Und die Piloten? 

In der Diskussion über die Behauptungen von David Grusch gehen leider die bemerkenswerten Aussagen der beiden Navy-Piloten David Fravor und Ryan Graves ein wenig unter, die sie in dem Hearing im Kongress ebenfalls unter Eid machten. Nach ihren Schilderungen sind Sichtungen von Flugobjekten, die höchst ungewöhnliche Eigenschaften haben und unerklärliche Flugmanöver vollführen, im Luftraum der USA keine Seltenheit und stellen eine ernstzunehmende Sicherheitsbedrohung dar. Die Flugobjekte, so Fravor und Graves, scheinen unter intelligenter Kontrolle zu stehen und wurden zum Teil von mehreren technischen Sensoren erfasst sowie von Augenzeugen gesichtet. 

Das inzwischen berühmte „Tic-Tac-Ufo“, das Fravor und andere Piloten 2004 vor der Küste Südkaliforniens beobachtet haben, soll laut Fravor „keine Rotoren, keinen Rotorabwind oder sichtbare Steuerflächen wie Flügel“ gehabt haben und „keinem der bekannten aerodynamischen Prinzipien, die wir für Objekte in unserer Atmosphäre erwarten würden“, gefolgt sein. Fravor betonte, dass dieses Objekt „allem weit überlegen war und ist, was wir damals hatten, heute haben oder in den nächsten Jahren entwickeln werden“. Graves hielt in seinem Eingangsstatement fest: „Während wir hier zusammenkommen, befinden sich UAP in unserem Luftraum, aber es wird viel zu wenig über sie berichtet. Diese Sichtungen sind nicht selten oder vereinzelt, sie sind Routine. Militärische Flugzeugbesatzungen und Verkehrspiloten, geschulte Beobachter, deren Leben von einer genauen Identifizierung abhängt, sind häufig Zeugen dieser Phänomene.“ 

Diese Aussagen sind grundsätzlich auf einer anderen Ebene zu verorten als die Behauptungen von Grusch, nach denen wir es mit einer gigantischen Verschwörung zu tun hätten. Es ist zu hoffen, dass weitere Aussagen von glaubwürdigen Zeugen wie Fravor und Graves das Ufo-Thema weiter entstigmatisieren werden, sodass es sich auch in der Wissenschaft mehr und mehr als legitimes Forschungsgebiet etablieren kann.

Denn letztlich wird nur wissenschaftliche Forschung neue Erkenntnisse zu diesem rätselhaften Phänomen liefern. Allen Hynek, wissenschaftlicher Berater des Projektes Blue Book, der bislang größten Studie zu Ufos, schrieb vor fast einem halben Jahrhundert, dass sich die Lösung des Ufo-Rätsels nicht nur als „der nächste kleine Schritt auf dem Weg der Wissenschaft, sondern als ein gewaltiger Quantensprung“ erweisen könnte. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Quelle: Cicero

 

 

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