Blogarchiv
Astronomie - Die wirbelnde Hülle des sterbenden Sterns R Sculptoris

-

Astronomen haben mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) eine Spiralstruktur in der Materie entdeckt, die den sterbenden Riesenstern R Sculptoris umgibt. Die überraschende Beobachtung in Kombination mit dem Nachweis der weiter außen liegenden Schale um einen roten Riesenstern ist eine astronomische Premiere. Die Spiralstruktur dürfte auf einen unsichtbaren Begleiter zurückgehen, der den Roten Riesen umkreist. Die neuen Ergebnisse erscheinen diese Woche in der Fachzeitschrift Nature – als eine der ersten Veröffentlichungen aus der frühen Phase wissenschaftlicher Beobachtungen mit ALMA.
Ein Astronomenteam hat zu seiner Überraschung eine Spiralstruktur in dem Gas um den roten Riesenstern R Sculptoris entdeckt [1][2][3], die darauf hin deutet, dass ein zuvor unentdeckter Begleiter den Stern umkreist [4]. Auch die Menge des von dem Roten Riesen ausgestoßenen Materials erwies sich als deutlich größer als erwartet. Die Beobachtungen wurden mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) vorgenommen, dem leistungsfähigsten Millimeter/Submillimeter-Teleskop der Welt.
„Zwar konnten zuvor bereits Schalen aus ausgestoßenem Material um diese Art von Sternen beobachtet werden, aber wir sind die ersten, die so eine Spirale aus Materie beobachtet haben, die von dem Stern ausgeht und die von einer solchen Schale umgeben ist”, erklärt Matthias Maercker von der ESO und vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn, der Erstautor der Studie, in der die Ergebnisse veröffentlicht werden.
Rote Riesensterne wie R Sculptoris geben große Mengen an Materie in den umgebenden Weltraum ab. Sie sind damit die Hauptlieferanten des Gases und des Staubs, die den Großteil des Rohmaterials für die Bildung von Planetensystemen um neue Generationen von Sternen, und damit auch für das Leben darstellen.
Das Ergebnis stammt aus der Frühphase wissenschaftlicher Beobachtungen mit ALMA („Early Science phase“). Doch selbst in dieser Frühphase übertrifft die Leistung der Anlage deutlich die anderer Submillimeterobservatorien. Zuvor gewonnene Datensätze zeigten zwar eine kugelförmige Hülle um R Sculptoris, aber weder die Spiralstruktur noch Hinweise auf einen Begleiter.
„Während unserer Beobachtungen mit ALMA waren noch nicht mal die Hälfte der vorgesehenen Antennen vor Ort. Man stelle sich vor, was ALMA leisten können wird, wenn die Anlage ab 2013 komplett aufgebaut ist!" ergänzt Wouter Vlemmings von der Chalmers University of Technology in Schweden, einer der Ko-Autoren der Studie.
Kurz vor dem Ende ihres Lebens werden Sterne mit einer Masse von bis zu acht Sonnenmassen zu Roten Riesen und verlieren dann einen Großteil ihrer Masse in Form von starken Sternwinden. Während der Rote-Riesen-Phase finden außerdem zusätzlich regelmäßig sogenannte thermische Pulse statt: kurze, explosive Phasen, während derer in einer Schale um den Zentralbereich des Sterns Heliumkerne zu Kohlenstoffkernen verschmelzen. Während eines thermischen Pulses erhöht sich die Rate, mit der Materie von der Sternoberfläche in den umgebenden Raum strömt. So entstehen um den Stern herum ausgedehnte Schalen aus Gas und Staub. Nach dem Puls geht die Massenverlustrate auf ihren normalen Wert zurück.
Thermische Pulse treten etwa alle 10.000 bis 50.000 Jahre auf und dauern jeweils nur wenige hundert Jahre. Die neuen Beobachtungen von R Sculptoris zeigen, dass der Stern vor gut 1800 Jahren seinen letzten thermischen Puls durchlaufen hat, der etwa 200 Jahre währte. Der Begleitstern brachte den Sternwind von R Sculptoris dann in die jetzt beobachtete Spiralform.
„Dadurch dass ALMA in der Lage ist, derart feine Details aufzulösen, können wir viel besser als zuvor nachvollziehen, was mit dem Stern vor, während und nach dem thermischen Puls passiert ist. Die Form der Schale und der Spiralstruktur liefern uns die dafür nötigen Informationen”, ergänzt Maercker. “Wir haben zwar durchaus damit gerechnet, dass ALMA uns einen ganz neuen Blick auf das Universum ermöglichen wird. Aber dass wir bereits mit einer der ersten Beobachtungen überhaupt völlig unerwartete neue Dinge zu Gesicht bekommen, ist schon etwas ganz besonderes.”
Um die Entstehung der beobachteten Strukturen rund um R Sculptoris nachvollziehen zu können, hat das Astronomenteam Computersimulationen durchgeführt, die die Entwicklung eines Doppelsternsystems modellieren [5]. Die resultierenden Modelle passen sehr gut zu den neuen ALMA-Daten.
"Es ist eine beachtliche Herausforderung, all die Details, die ALMA liefert, auch theoretisch beschreiben zu können, aber unsere Computermodelle haben gezeigt, dass wir definitiv auf dem richtigen Weg sind. ALMA hat uns einen hervorragenden Einblick geliefert, wie sich diese Sterne verhalten – und damit auch, wie sich unsere Sonne in ein paar Milliarden Jahren entwickeln könnte", erläutert Shazrene Mohamed vom Argelander-Institut für Astronomie und vom South African Astronomical Observatory in Südafrika, eine Ko-Autorin der Studie.
„Bald können uns ALMA-Beobachtungen von Sternen wie R Sculptoris dabei helfen nachzuvollziehen, wie die chemischen Elemente, aus denen wir Menschen bestehen, auf einen Planeten wie die Erde gelangt sind. Und auch über die ferne Zukunft unseres eigenen Heimatsterns dürfte uns ALMA einiges verraten”, schließt Matthias Maercker.
Endnoten
[1] R Sculptoris ist ein Beispiel für einen Stern auf dem sogenannten asymptotischen Riesenast (englisch asymptotic giant branch, kurz AGB). Solche Sterne haben ursprünglich Massen zwischen 0,8 und 8 Sonnenmassen, befinden sich mittlerweile aber im letzten Stadium ihres Sternlebens. Es handelt sich um kühle rote Riesensterne, die in Form von heftigen Sternwinden fortwährend beträchtliche Mengen an Materie verlieren. Üblicherweise ist die Helligkeit solcher Sterne langperiodisch veränderlich. Die Sterne enthalten einen vergleichsweise kleinen Zentralbereich aus Kohlenstoff und Sauerstoff, der von Schalen umgeben ist, in denen zum einen Wasserstoff, zum anderen Heliumkerne miteinander verschmelzen. Außen schließt sich an diese Schalen eine riesige, ausgedehnte Hülle an, in der die Materie durch Konvektion durchmischt wird. Auch die Sonne wird sich einmal zu einem solchen AGB-Stern entwickeln.
[2] Die ausgestoßene Hülle um AGB-Sterne besteht aus Gas und Staubkörnern. Der Staub kann ausfindig gemacht werden, indem man im fernen Infrarot oder bei Millimeter- und Submillimeterwellenlängen nach der Wärmestrahlung sucht, die er abgibt. Die vom CO-Molekül ausgesendete Strahlung im Millimeterwellenlängenbereich ermöglicht es den Astronomen, hochaufgelöste Karten des Gases zu erstellen, das durch den starken Sternwind der AGB-Sterne nach außen gerissen wird. Derartige Beobachtungen sind also hervorragend geeignet, um die Verteilung des Gases rund um diese Objekte zu ermitteln. Dank der hohen Empfindlichkeit von ALMA ist es möglich, den Bereich, in dem der Staub auskondensiert, sowie ganz allgemein die räumliche Struktur des Materials in der Umgebung der AGB-Sterne mit einer Auflösung von besser als 0,1 Bogensekunden direkt abzubilden.
[3] Eine ähnliche Spirale, allerdings ohne ohne die umgebende Hülle, konnte bereits mit dem NASA/ESA Hubble-Weltraumteleskop um den Stern LL Pegasi beobachtet werden. Anders als bei den neuen ALMA-Beobachtungen konnte aus diesen Daten allerdings nicht die gesamte Struktur dreidimensional untersucht werden. Außerdem weisen die Hubble-Daten den Staub und nicht wie ALMA die Molekülemission nach.
[4] Nicht direkt nachgewiesene Begleiter eignen sich ebenfalls, um die seltsamen Formen noch weiter entwickelter Objekte zu erklären: der planetarischen Nebel. Nach der AGB-Phase beenden Sterne mit kleinen und mittleren Massen (von ca. 0,8 bis 8 Sonnenmassen) ihr Leben als eben solche. Es handelt sich dabei um die Überreste der Gashülle, die während der AGB-Phase ausgestoßen wurde und die nun von der Ultraviolettstrahlung des zentralen Weißen Zwerges, dem Überrest des Zentralbereichs des ehemaligen Sterns, ionisiert und zum Leuchten angeregt werden. Viele planetarische Nebel haben sehr komplexe und zudem völlig unterschiedliche Morphologien. Doppelsternsysteme, Scheibensysteme oder Magnetfelder sind mögliche Erklärungen, um die beobachtete Formenvielfalt planetarischer Nebel zu erklären.
[5] Das Modellsternsystem besteht aus dem AGB-Stern, der einen thermischen Puls durchläuft, als Hauptkomponente und einem kleineren Begleitstern. Der Abstand zwischen den beiden Sternen betrug in der Simulation das 60-fache des Abstands Erde-Sonne, die Gesamtmasse des Systems zwei Sonnenmassen. Die Umlaufdauer beträgt unter diesen Umständen 350 Jahre.
Quelle: ESO
5210 Views
Raumfahrt+Astronomie-Blog von CENAP 0